Wir brauchen mehr wilde Natur
In den vergangenen Jahren wurde einiges getan, um den Neckar wieder ökologisch aufzuwerten. Die BZ sprach darüber mit Claus-Peter Hutter, dem Leiter der Akademie für Natur- und Umweltschutz und Präsidenten der Umweltstiftung NatureLife-International.
Herr Hutter, Sie haben den Neckar der späten 60er-Jahre als braune, stinkende Brühe bezeichnet, geprägt durch die Kanalisierung. Wie sieht das Bild heute im Landkreis Ludwigsburg aus?
CLAUS-PETER HUTTER: Im Neckar leben heute wieder mehr als 40 Fischarten. Das war nur möglich, weil Städte und Gemeinden, die Kreise und das Land - und letztlich die Steuerzahler - immense Summen in den Bau von Klärsystemen investiert haben. Das alles darf nicht darüber hinweg täuschen, dass das Neckarwasser vielfältig genutzt wird und schon irgendwo war: In Haushalten, Gewerbeanlagen und in Kühltürmen der Kraftwerke. Was von der Quelle im Schwenninger Moos im Schwarzwald zur Mündung in den Rhein bei Mannheim fließt, ist also zu mehr als zwei Drittel schon einmal gebraucht.
Damit muss man leben?
HUTTER: Angesichts der hohen Einwohnerzahl des Neckareinzugsgebietes wird und kann sich dieser Zustand nie ändern. Dennoch ist es ein Erfolg, dass die Schaumberge verschwunden sind, der Neckar nicht mehr zum Himmel stinkt und viele Tierarten zurückgekehrt sind.
Gibt es im Landkreis Ludwigsburg eigentlich noch unberührte Natur am Neckar?
HUTTER: Für den gesamten 367 Kilometer langen Neckarverlauf gelten nur rund zwei Prozent als natürlich oder naturnah. Das Highlight schlechthin befindet sich im Kreis Ludwigsburg. Nämlich der Altneckararm zwischen den Orten Freiberg-Beihingen, Pleidelsheim und Ingersheim. Das Besondere dabei ist die gesamte noch nicht von Straßen zerschnittene Neckaraue - ein Rückhaltegebiet bei Hochwasser wie kein zweites; damit schützen wir nicht nur Reiher, Eisvogel und Co., sondern auch die Neckaranrainer und Heidelberg und Umgebung. Es ist eigentlich schon verwunderlich, dass ich Mitte der 70er Jahre mit etlichen Weggefährten für eine solch einmalige Landschaft kämpfen musste.
Die Stiftung Nature-Life-International hat 1997 mit der Anlage des "Neckarparadieses" bei Benningen Pionierarbeit zur Renaturierung des Neckars geleistet. 2012 flutete die Stadt Ludwigsburg das 18 Hektar große Areal "Zugwiesen", um daraus ein Ökogebiet zu machen. Hat ein Umdenken im Umgang mit der Natur am Neckar stattgefunden oder sind das nur Einzelmaßnahmen?
HUTTER: Seit der Anlage des Neckarparadieses - und das war auch meine Absicht mit diesem Projekt - ist einiges in Gang gekommen. Die Menschen im Großraum interessieren sich wieder für den Fluss, gehen im Neckartal wandern oder radfahren. Angekurbelt durch ein Programm des Verbandes Region Stuttgart investieren die Kommunen in der Region in kleine Renaturierungsmaßnahmen und Erlebniszonen. Ein Problem haben wir dabei: Das Thema Erlebnis steht bei den Projekten allzu oft im Vordergrund, aber in Biergärten und Kunstsandstränden brüten nunmal keine Eisvögel. Was wir brauchen, ist mehr Platz für wilde Natur.
Das Ökogebiet "Zugwiesen" hat einen großen Besucherandrang ausgelöst. Wie verträgt sich das mit dem Ziel, der Natur wieder mehr zu ihrem Recht zu verhelfen?
HUTTER: In den Kernzonen erreicht das Modellprojekt Zugwiesen schon jetzt das Ziel, ein wertvoller Lebensraum zu sein; die Möglichkeiten zur Naturbeobachtung wurden von der Stadt Ludwigsburg und allen Beteiligten vorbildlich schon früh eingeplant, der Besucherandrang zeigt, dass die Menschen eine tiefe Sehnsucht nach Natur haben. Das führt immer dann zu Konflikten, wenn es zu wenige solcher Gebiete gibt. Für mich heißt das ganz klar, dass wir weitere Naturzonen anlegen müssen; dann konzentriert sich nicht alles auf ein, zwei Stellen.
Das Land will den Fluss im Rahmen der Initiative "Unser Neckar" als Tourismus-, Freizeit- und Umweltfaktor aufwerten. Wie können sich insbesondere kleinere Gemeinden im Kreis daran beteiligen?
HUTTER: Die Initiative "unser Neckar" des Landes bildet eine ideale Plattform zur Vernetzung von Akteuren und stellt auch Finanzmittel bereit, wenn sich die Kommunen selbst auch daran beteiligen. Hinzu kommen die finanziellen Förderungen über das Programm "Landschaftspark Neckar" des Verbandes Region Stuttgart. Die jetzt realisierten oder geplanten Maßnahmen zeigen, dass die Gemeinden zunehmend davon Gebrauch machen. Schließlich geht es bei der Schaffung von Naturrefugien um die nicht zu unterschätzende grüne Infrastruktur und damit um die ökologische Zukunftssicherung in einer der wirtschaftlich stärksten Regionen Europas.
Herr Hutter, vielen Dank für das Gespräch.
Quelle:Bietigheimer Zeitung